Donnerstag, 18. Juli 2013

Baugruppe gräbt Baugrube

Was wird aus Berlins Kleingärten?

Seit Donnerstag früh, sieben Uhr, setzen Ulf Maaßen und seine „Baugemeinschaft Himmel und Erde“ ihr zerstörerisches Werk auf dem ehemaligen Gelände der KGA Famos fort, wo bereits 18 Kleingärten planiert wurden. Erneut wütet hier der Bagger, um das Grün, das sich die letzten Monate wieder auf dem Gelände breitmachte, niederzuwalzen und eine Baugrube auszuheben, damit die Investoren endlich alles zubetonieren können, um weitere 72 Eigentumswohnungen auf dem Berliner Immobillienmarkt zu verhökern, als „Ökoprojekt mit Weitblick“, zum „Wohnen im Grünen“.
Baugruppe gräbt Baugrube
Wer sich heute noch in seiner Altbauwohnung oder Kleingartenidylle sicher fühlt, kann morgen schon die Kündigung bekommen. Die Immobilienwirtschaft bläst zum Großangriff auf die knapp 73.000 Berliner Kleingärten. Berlins Senator für Stadtentwicklung und Umwelt, Michael Müller (SPD), verkündete zu Weihnachten, die Innenstadtgärten und andere Grünflächen sollen geopfert werden, wir bräuchten den Platz für mehr Wohnungen. Sein Staatsekretär Ephraim Gothe, Chef der neuen Wohnungsbau-Leitstelle, ergänzte „Berlin hat genügend Flächen in guten Lagen“. „Leider gibt es jedoch keine konfliktfreien Flächen“. 90.000 Wohnungen sollen gebaut werden, wie es der Flächennutzungsplan vorsieht, angeblich um die Wohnungsnot zu lindern.
Für die Metropole Berlin und die Stadtökologie erfüllen die Kleingärten ebenso wie alle andern Grünflächen unverzichtbare Funktionen als „Grüne Lungen“ und „Staubfilter“ für das Klima in der Stadt, da der vielfältige Pflanzenbewuchs Staub und Feinstaub bindet. Gleichzeitig befeuchtet und kühlt er die Luft im Sommer.
Durch die unversiegelte Bodenfläche, die Regenwasser aufnimmt, das direkt in den Boden gelangt und dabei auf natürlichem Weg gefiltert wird, verbessert sich die Qualität des Grundwassers ohne die Kläranlagen zu belasten und Kosten zu verursachen.
Wohnen im Grünen
Dies wirkt sich nicht nur lokal in der näheren Nachbarschaft aus, sondern auf das gesamte Stadtgebiet als Großraummetropole. Viele Gartenanlagen liegen entlang großer Verkehrswege, z.B. an Hauptverkehrsstraßen, Autobahnen, Flüssen und Kanälen, Bahn- und S-Bahn-Linien. Diese langen Schneisen bilden Windkanäle. Fehlt das Grün entlang solcher Trassen, fehlen die Kühlung, Befeuchtung und Filterfunktion und diese Windkanäle transportieren stattdessen trockene, aufgeheizte Luftmassen voller Staub und Feinstaub durch die Stadt.
Vor 180 Jahren als „Armengärten“ entstanden, wuchs die Zahl der Kleingärten in Berlin bis 1925 auf über 165.000 Parzellen auf 6.239 Hektar. Seit den sechziger Jahren hat sich der Zahl der Kleingärten halbiert. In den letzten 16 Jahren gingen 10.000 Kleingärten verloren, jährlich ca. 600 Parzellen.

Damals wie heute erfüllen die Kleingärten für die Berliner_innen viele wichtige Funktionen, die Berlin erst lebenswert machen. Sie ermöglichen nicht nur allen Stadtbewohner_innen, unabhängig vom Einkommen, einen eigenen Garten für wenig Geld zu pachten, im Gegensatz zu Eigenheimen mit Garten, die nur „besser Verdienenden“ zur Verfügung stehen. Die Kleingärten sind darüber hinaus öffentliche Grünanlagen und Naherholungsgebiet für die ganze Bevölkerung, und bieten damit Allen eine dringend notwendige Ergänzung der beengten Wohnverhältnisse in den städtischen Mietshäusern. Sie sind schützenswerte Grünflächen, und bieten seit über 100 Jahren Lebensraum für zahlreiche, heute bedrohte Tiere. Sie ermöglichen die Selbstversorgung der Anwohner_innen mit gesundem „Bio“-Obst und Gemüse, bei gleichzeitiger körperlichen Betätigung an der frischen Luft und direkter Verbindung mit Natur und Umwelt. Darüber hinaus bieten sie praktisches Erlernen bewährter Fähigkeiten, z.B. im Umgang mit der Natur und Nahrungsmitteln, Heilpflanzen, Tierwelt und Mikrokosmos, bis hin zu handwerklichen Kenntnissen, die sonst unwiederbringlich verloren gehen.


Vorher... Bildmaterial: KGA Famos

Die Kleingärten werden leider von Immobilienwirtschaft, Verwaltung und Politik, lediglich als billiges Bauland betrachtet. Die Wohnungsnot in Berlin kommt aber daher, dass die meisten Berliner_innen, angesichts ständig steigender Mieten, sich die Wohnungen auf dem freien Markt nicht mehr leisten können. Wer die teuren Mieten bezahlen kann, hat vermutlich kaum Probleme, in Berlin eine passende Wohnung zu finden.

Die Grundstückspreise der zu Bauflächen umgewandelten Kleingärten steigen jedoch auf das 40-100fache. Dadurch wird der Druck auf den Wohnungsmarkt, durch die daraufhin steigenden Mieten, dramatisch erhöht, anstatt ihn zu entlasten. Die meisten der bisherigen Bewohner_innen der Umgebung von überbauten Kleingärten, zu denen auch die Kleingärtner_innen selbst gehören, werden vertrieben. Gleichzeitig schrumpft die Lebensqualität für die übriggebliebenen und neu hinzugezogenen Bewohner_innen durch die Zerstörung der Grünflächen und gewachsenen Kiezstrukturen.

Selbst in den dünn besiedelten Außenbezirken, wo die meisten Kleingartenanlagen liegen, geht es um die Vertreibung der Menschen, die dort jetzt wohnen oder auch nur ihren Garten haben, weil sie vielleicht im Prenzlauer Berg oder einem anderen Innenstadtbezirk wohnen, wo es kaum noch Grünflächen gibt.
Allein in Pankow gibt es mehr als 10.000 Parzellen mit einer Grünfläche von ca. 500 Hektar, (5 Mio. Quadratmetern), davon sind etwa die Hälfte in privater Hand, und gelten somit als nicht gesichert, also potentiell durch Bebauung bedroht. Die Deutsche Bahn zwingt Kleingartenvereine und Bezirksverbände ihre Gartengrundstücke zu kaufen, sonst gehen sie an den Meistbietenden.
Es werden auch besonders viele 1-2 Familienhäuser gebaut, (55% der Wohngebäude in Berlin sind 1-2 Familienhäuser) mit Vorliebe in Gartensiedlungen, da das Gelände dort auch bereits erschlossen ist. Auf einigen ehemaligen Kleingartenanlagen stehen nun Musterhäuser, dabei wurde vielen Kleingärtnern vorgeworfen sie würden dort unter anderem auch wohnen, das wurde ihnen zum Verhängnis. Jetzt wohnen da Andere in Einfamilienhäusern.
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), der Berliner Mieterverein (BMV) und der Verband der Gartenfreunde warnten ... vor einer Bebauung wichtiger Grünflächen und forderten zugleich den Bau preisgünstiger Wohnungen.“ „Kleingartenanlagen dürfen dem Bauboom nicht geopfert werden, sie tragen zu einem großen Teil zur hohen Lebensqualität in Berlin bei“, sagte Günter Landgraf, Vorstand des Landesverbandes der Gartenfreunde.“ (Berliner Zeitung 3.5.2013)



...Nachher Bildmaterial: KGA Famos

Auf den Erhalt des Stadtgrüns wird offenbar keine Rücksicht mehr genommen. Der Berliner Senat will jetzt vor allem die Verfahren für Baugenehmigungen beschleunigen: „ ... die bürokratischen Hürden bei Neubauten senken. Private Investoren, die Bezirke und die Baugesellschaften bekommen eine zentrale Anlaufstelle - die neue Wohnungsbauleitstelle. Sie soll koordinieren, moderieren, Prozesse beschleunigen und Mittler zwischen öffentlichen Stellen auf Bezirks- wie Landesebene und den Privaten sein. Die CDU will zudem Prämien - 500 Euro pro Wohnung - für zügige Baugenehmigungen in den Bezirken zahlen. Dafür müsse die Genehmigung sechs Monate nach Einreichung aller erforderlichen Unterlagen ausgesprochen werden.“ (rbb-online.de 2.5.2013)
Entwicklung der Kleingärten in Berlin

Jahr
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
Anzahl
83198
82638
82293
82160
81785
79873
79059
76576
76752
76165
75276
74526
74526
74094
73694
73426
Hektar
3561
3509
3501
3496
3502
3365
3310
3155
3161
3137
3091
3064
3064
3046
3030
3018
Quelle: Landesamt für Statisik, „Kleine Berlin-Statistik“ (2006-2012),
Wir fordern dagegen mehr Transparenz und die Beteiligung der Öffentlichkeit bei allen Bauvorhaben, insbesondere wenn Grünflächen und Kleingärten zerstört werden!







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